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Offene Fragen treffen auf geschlossene Lippen

Offene Fragen treffen auf geschlossene Lippen

Begonnen als ausgelassene Party im geschlossenen Binz-Areal, endete der Event auf offener Strasse im Chaos.

Zürich. Aus den offenen Hallen des Binz-Areal dringt leises Hämmern. Niemand ist zu sehen. Im hinteren Teil des Areals sitzen zwei Mitglieder der Familie Schoch beim Feierabend-Bier auf der Treppe eines Bauwagens. Darin kniet eine junge Frau und arbeitet mit der Feile an einem Werkstück.

Zu den Ereignissen vom 2.März sagt einer der beiden Männer: „Wir wollten das nicht, wir wollten nur eine Party machen. Die Ausschreitungen gingen von anderen aus“. Sie hätten nicht eingeladen zur Party. Es hätte jeder kommen können. Er meinte noch, die Familie Schoch sei naiv gewesen. Wollte dies aber nicht näher erläutern. Direkte Massnahmen durch die Stadt nach den Ausschreitungen gäbe es bisher nicht. Ihre Situation sei in Folge aber gewiss nicht einfacher.

Was war passiert in der Nacht des 2.März.

Geplant war eine Party in den Hallen des besetzten Binz-Areals. Zum Programm gehörte ein nicht bewilligter Umzug als „Street-Parade-Parodie“. Eigens für diesen Event hatten Mitglieder der „Familie Schoch“, die Hausbesetzer des Binz-Areals, 18 motorisierte Vehikel gebaut, als rollende Disco.

Fast 1000 Partyfreaks waren zu dem Event gekommen. Tanzen und ausgelassen feiern, wollten sie. Vor Mitternacht forderten die Organisatoren die Gäste auf die Party als Umzug in den Strassen fortzusetzen, mit dem Aufruf „Binzmotors präsentiert die Rollerdisco“. Der Tross setzte sich in Richtung Kreis 3 in Bewegung. Die rollende Disco mit Liveband sorgte für Stimmung. Die Partygäste tanzten bei lauter Musik durch die Strassen, begleitet von knallenden Feuerwerkskörpern.

Doch dann kam es im Bereich der Wache Wiedikon zu ersten Ausschreitungen. Häuser wurden besprayt, Fenster eingeschlagen, Autos und Container angezündet und eine Coop-Filiale geplündert. Die Einsatzkräfte der Polizei begegneten den Randalierern mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummischrot. Doch stoppen konnte sie die „Menschenwalze“ nicht. Es war ein irrwitziges nebeneinander von tanzenden Partygästen und einer Gruppe erstaunlich gewalttätiger Chaoten, wie Augenzeugen berichteten. Dabei nutzten die Chaoten den Schutz der Masse, um dem Zugriff der Polizei zu entgehen. Nach massiver Konfrontation mit der Polizei löste sich das Spektakel aus Gewalt und Party gegen zwei Uhr auf. Die Menschenmasse zog sich in das Binz-Areal zurück. Geblieben ist ein Sachschaden, der auf ca 1,5 Mio Franken beziffert wird.

Aggression und Sachbeschädigung

Die Familie Schoch war bisher nicht als gewalttätig aufgefallen. Die Hintergründe dieser Aktion bleiben offen. Ob die Ausschreitungen im Vorfeld durch die Organisatoren geplant, oder eine kleine, geschlossene, radikale Gruppe sich verselbständigt hat, bleibt ebenfalls offen.

Eine Gruppe aus Bern sei extra mit dem Zug angereist und Hardcore-Fussballfans seien ebenfalls unter den Demonstranten gewesen, so Daniel Leupi, Leiter des Polizeidepartement. Woher diese Erkenntnisse stammen, gibt er aber nicht preis. Wurden doch keine Demonstranten in Gewahrsam genommen.

Gesichert ist die Tatsache, dass die Familie Schoch Kontakte zum „Revolutionären Aufbau“ hat, die auch eine Gruppe in Bern hat. Diese nahmen in der Vergangenheit auch an Demos fürs Binz-Areal teil. Die Gruppierung „Revolutionärer Aufbau“ gilt als militant und in sich geschlossen. Doch über die Verantwortlichen für die Ausschreitungen schweigt auch das Familie-Schoch-Mitglied auf der Bauwagentreppe.

Die politischen Parteien verurteilten die Krawalle vom 2.März und fordern wieder Massnahmen, so wie sie es bei derartigen Unruhen seit mehr als 40 Jahren tun, seit dem Globus-Krawall und den Opernhauskrawallen.

Hausbesetzerszene als Subkultur

Die seit Jahrzehnten existierende Hausbesetzerszene liess eine eigenständige Subkultur entstehen. Ihr Wunsch nach offenen Lebensformen, Selbstbestimmtem Leben, Freiraum steht ihrem geschlossenen, abgegrenzten, zur autonomen Zone erklärten Lebensraum konträr gegenüber.

Künstler, Schauspieler, Musiker, Handwerker finden in den besetzten Arealen eine „Heimat“, einen Lebens- und Schaffensraum. Alternative Kunstbühnen sind entstanden. Diese Szene machte die Stadt attraktiver, lebendiger, gibt ein anderes Flair.

Das besetzte Binz-Areal und die Hausbesetzerszene haben es sogar als Touristenattraktion in den Marco-Polo-City-Atlas geschafft.

Auch das Kulturressort erkannte die hippe Szene als Motor eines alternativen Kulturschauplatzes. Ob sich diese Subkultur etabliert und künftig eine Ueberlebenschance hat oder auf das Ende ihres Lebenszyklus zugeht, muss sich zeigen.